Minnelied und Küchenlied

Über das Fortleben des mittelhochdeutschen Minnesangs im neuhochdeutschen Küchenlied

von MA B. Bock

Um es vorwegzunehmen: "Küchenlied" klingt lächerlich, "Minnesang" erhaben. Aber nennen wir jene rührseligen Romanzen der letzten Jahrhundertwendezeit "Minnelied", ist diese erste unsachliche, weil ungerecht wertende Differenz beigelegt. Und weitere gibt es einfach nicht. Was sind denn auch die Geschichten jener unglücklichen Lieben anderes als späte Fortsetzungen der einstigen übermutigen Tändeleien! Wer wollte auch leugnen, daß sie alle, die einst sangen, so, wie sie lebten, auch gestorben sind (ein häufiges Thema des sogenannten "Küchenliedes")?

Ja, selbst in formaler Hinsicht gibt es keine Zweifel: es verbindet der eingängige Reim, die typische Strophenform (wobei die Zahl der Strophen schon betrachtlich hoch sein kann, vergleicht man sie z.B. mit dem Text der deutschen Nationalhymne), und nicht zuletzt sei die eingängige Melodie erwähnt, die, auf allzu viele Schnörkel verzichtend, einen quasi volkstümlichen Charakter besitzt.

Stellen wir uns einen Mann wie Walther im lahre 1910 vor: Er hätte vor schluchzendem Publikum mit schöner Stimme die grausige Geschicht vom Frauenzimmer Sabinchen erzählt.