Tu’s niemals ohne Helm

Interview mit dem Präsidenten des Bundesverbandes Minnesang in der Leipziger Volkszeitung

Tu´s niemals ohne Helm! - Goldene Regel des Minnesangs gilt bis heute


Leipzig ist Deutschlands Zentrum des Minnesangs - doch nur wenige wissen davon. Schon 1992 wurde der Bundesverband Minnesang in der Messestadt gegründet, der sich seitdem um die Belebung des gemeinschaftlichen Singens kümmert. Ein Jahr später stieg hier sogar der Bundestag der Minnesänger.
Doch öffentliche Auftritte der rund 30 Mitglieder finden kaum statt. "Wir machen uns eher still unsere Gedanken", erklärt Präsident Gustav M. Ecke. "Minne ist eine eigenständige Kunstform", sagt Gustav M. Ecke. "Wer diesen besonderen Abschnitt in der Kulturauf Balz-Rituale reduziert, erhärtet nur die einschlägigen Vorurteile." Darum sind etwa die jetzt von Minnesänger Nikolai de Treskow in Leipziggeplanten Traummann-Seminare auch nur "Geldmache". "Er ist sicher ein netter Kerl", so Ecke über den selbsternannten "einzigen Minnesänger Deutschlands". " Aber eigentlich ist er nur auf den Mittelalter-Zug aufgesprungen."Denn Minne ist mehr als Mammon. Sie kommt aus dem Herzen, ist wie Musik machen mit fließenden Grenzen. Dabei bleibt die Liebe oft platonisch.

Walther von der Vogelweide & Co. waren zumeist mittellose Figuren, die mit ihren Geschichten im Gepäck von Fürst zu Fürst zogen, als Lobbyisten für sich selbst und ihre Herren. "Häufig wurden sie von Entscheidungsträgern erhört und machten so Politik",sagt Ecke. Ein erfolgreicher Minnesänger hielt sich in der Nähe von jemandem auf, der etwas werden wollte. In Versen brachte er dessen positive Eigenschaften, Zuneigung, aber auch Hohn und Spott ein. "Heute vielleicht vergleichbar mit Kolumnisten", so Ecke. Leben konnten damals - zwischen 1200 und 1300 - die wenigsten von ihrer Kunst. Mehr als ein paar Dutzend sollÕs nicht gegeben haben, Vogelweide war der Star dieser Spielart höfischer Kultur.

" Den Bundesverband zu gründen, das war meine Schnapsidee", sagt Gustav M. Ecke. Seine Kollegen an der Uniklinik für Psychiatrie halten es für einen Spleen. "Aber ich betreibe Minne ja nicht exzessiv. Was wir machen, tun wir nur aus Spaß an der Freude." In Spanien und Südamerika ist solch Tun, das die Geschichte weiter leben lässt, normal - hier wird es mit Befremden beobachtet. Dabei ist der Minnesänger nur ein Lobbyist für die Liebe.

Wo einer sein Zelt aufschlägt, ist zugleich eine Verbands-Niederlassung. "Es gibt welche in Schweden, Frankreich, Holland, Tschechien und England. Aber auch im Himalaya hat schon einer nach Wurzeln gesucht." Kontakt halten die Studenten, Ärzte, Philologen, Historiker und Krankenpfleger vor allem per E-mail und über ihre mehrsprachige Internet-Seite (www.minnesang.de). Auch in Leipzig finden Treffen statt. "Einen Vizepräsidenten habe ich letztens im Konsum gesehen", so Ecke. Nur nichts ernst nehmen, aber auch nichts zu lax - nach diesem Motto verläuft das Verbandsleben. So besucht man den Bundestag, weil man immer "dümmer hingeht, als man ihn verlässt".

Bei Exkursionen werden historische Orte wie die Wartburg bereist. "Dort spielen wir unsere Laute, die wir von einer alten Dame in Potsdam geschenkt bekommen haben", so Ecke. Folklore ist Minne aber nicht: Kostüme werden nicht getragen. "Das würde uns aus unserer Zeit heraus katapultieren." Jeder im Verband bekommt ein Amt. So befasst sich Kunigunde in Dresden mit der "Verwalthung". Ein Herold fungiert als Medienbeauftragter, die Minneassessorin als Stimmprüferin. Und der Gleichstellungsbeauftragte kümmert sich um gleiche Pegel in den Gläsern. Überhaupt spielen Essen und Trinken eine wichtige Rolle, sind fast bedeutender als das Absingen der Hymne mit den unendlich vielen Strophen sowie das Erlernen altdeutscher Sprachen. Warum sich viele Deutsche mit dem Singen schwer tun? "Es gilt als peinlich, etwas von sich zu zeigen", sagt Ecke. "Wir achten sehr darauf, was der Nachbar sagt und haben Angst vor Fehlern. Wir fühlen uns immer zu Leistung gezwungen. Und Spaß hat damit nichts zu tun. Wir sind cool, schaffen es aber nicht, so zu sein wie wir wollen, weil wir nicht wissen, wie wir sind."

Eine goldene Regel gilt im Minnesang bis heute: Tu´s niemals ohne Helm! "Wegen der Blumentöpfe", lacht Ecke. Übrigens ist auch Brummen möglich. Hauptsache, man arbeitet mit Gefühl und Zärtlichkeit. Ecke selbst singt auch. Seine Freundin Wibke hat ihn aber auch ohne Lied erhört.

Erschienen in der Leipziger Volkszeitung am 4.2.2000