Dietmar von Aist

»Slâfst du, friedel ziere?
man weckt uns leider schiere:
ein vogellîn sô wol getân
daz ist der linden an daz zwî gegân.«
»Es dämmert an der Halde,
man weckt uns, Liebster, balde.
Ein Vöglein aus dem Neste schwang
sich auf der Linde Zweig empor und sang.«
    »Ich was vil sanfte entslâfen:
nu rüefstu kint Wâfen.
liep âne leit mac niht gesîn.
swaz du gebiutst, daz leiste ich, friundin mîn.«
»Noch lag ich sanft im Schlummer,
da weckte mich dein Kummer.
Lieb ohne Leid kann ja nicht sein.
Was du gebietest, tu ich, Liebste mein.«
    Diu fouwe begunde weinen.
»di rîtst und lâst mich eine.
wenne wilt du wider her zuo mir?
owê du füerst mîn fröide sament dir!«
Sie ließ die Tränen rinnen:
»Du reitest doch von hinnen.
Wann kommst du wieder her zu mir?
Ach, meine Freude nimmst du fort mit dir.«

Der Dichter stammt aus einem oberösterreichischen freiherrlichen Geschlecht, das seinen Namen von der Aist herleitet, einem nördlichen Zufluß zur Donau, der kurz unterhalb der Enns mündet. Er ist nicht näher zu bestimmen, gehört aber auch mit den Strophen, die ihm sicher zugewiesen werden können, in die früheste Zeit des Minnesangs.


 

Dietmar von Aist
Das Bild erscheint in der Weingartner Liederhandschrift verkürzt: Dichterfigur und beladener Esel. Der Dichter trägt in der Linken den Treiberstab, mit der anderen Hand hält er ostentativ einen Ast empor. Die Bezugnahme auf die Namensform »von Ast« ist unverkennbar. Es liegt nahe, auch den Esel zum Namen in Beziehung zu setzen: diet-mar in scherzhafter Etymologie als »Volkspferd« gedeutet. Der Maler des Manesse-Bildes unterstreicht diese Beziehung durch die Zeigegeste des Dichters. Im übrigen hat er die geschilderte Grundform phantasievoll durch eine reichhaltige Minnemetaphorik erweitert: Die Gürtel und Taschen auf dem »Ast«, der hier zum Querbalken geworden ist, sind bekannte Symbole aus dem Bereich der sinnlichen Liebe. Das Gold tritt als Metapher für »werdekeit« des Wesens mehrfach in der mittelhochdeutschen Dichtung auf; hier hat ihn der Maler noch durch die Formen des Gürtelendes, das die Dame mit der Hand umfaßt, sowie der goldenen Gürtel schnalle, die der Dichter ihr entgegenhält, eine hintergründige Beziehung zu dem Minneverständnis des Dichters verliehen, wie es dem Maler in der unter Dietmars Namen in der Manesseschen Liederhandschrift überlieferten Strophen zum Ausdruck zu kommen schien.

(Quelle: Minnesinger in Bildern der Manessischen Liederhandschrift, hrsg. von W. Koschorreck, Insel tb 88, Frankfurt a.M. 1974
Neuhochdeutsche Übertragung aus: Deutscher Minnesang, Nachdichtung von Kurt Erich Meurer, Reclam 7857 [2], Stuttgart 1978)