Neidhart von Reuenthal

Ûf dem berge und in dem tal
hebt sich aber der vogele schal,
hiure als ê
gruonet klê.
rûme ez, winter, dû tuost wê!

Die boume, die dâ stuonden grîs,
die habent alle ir niuwez rîs
vogele vol: daz tuot wol.
dâ von nimt der meie den zol.

Ein altiu mit dem tôde vaht
beide tac und ouch die naht.
diu spranc sider
als ein wider
und stiez die jungen alle nider.
  Auf dem Berg und in dem Tal
hebet an der Vogelschall,
dies Jahr wie früher
grünt der Klee.
Mach dich fort, Winter, du tust weh.

Die Bäume, die da standen grau,
voll Vögel sind neue Zweige .
Das tut wohl in der weiten Au'.
Der Mai spielt die erste Geige.

Ein Alte mit dem Tode rang,
bei Tag und Nacht betrogen.
Die seither
wie ein Böcklein sprang
und stieß die Jung'n zu Boden.
 

Der Dichter bezeichnet sich in einem seiner Lieder selbst als den »von Riuwental«, wobei nicht ganz sicher ist, ob es sich dabei um einen echten Ortsnamen handelt oder eine Allegorie. Jedenfalls stammt er aus Bayern und ist ritterlichen Standes. Er ist mindestens 10 Jahre jünger als Walther von
der Vogelweide, doch ist ein Teil seiner Dichtung schon im zweiten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts allgemein bekannt. Neidhart besaß ein bayerisches Lehen, das er aber um I230 verlor. Er ging dann nach Österreich und fand dort in Friedrich dem Streitbaren einen neuen Gönner. Bis I237 läßt sich aus politischen Anspielungen in seinen Liedern sein Leben sicher verfolgen. Sein Tod, so nimmt man an, fiel in die Jahre vor 1246.
Wenn Walther auch in seinen "Mädchenliedern" die Grenzen des höfischen Minnesangs noch nicht verlassen hatte, so ist ihm Neidhart in seinen "Sommerliedern" zum Teil auf diesem Wege noch gefolgt. Hier ist noch vieles an Ausdruck und Form durchaus höfisch. Was aber Walther so schockierte und zu empörtem Widerspruch reizte, war die grobianische »Dörperdichtung« Neidharts, in der Neidhart die rüpelhaften, rittermäßig herausgeputzten Bauernflegel verspottete und gleichzeitig in ihnen ein fragwürdig gewordenes höfisches Minneideal, ja höfisches Wesen überhaupt, zu karikieren suchte. Aber seine Lieder hatten Erfolg, auch an den Höfen des hohen Adels, ebenso im Volk, wo sie weite Verbreitung fanden und, angereichert mit vielen Nachahmungen, bis ins 16. Jahrhundert lebendig blieben.


 

Neidhart von Reuenthal
Das Bild hat bislang ganz widersprechende Erklärungen gefunden: »Bauern, die den Dichter lächelnd umdrängen und ihn bitten, weiterzusingen«, sagen die einen, »Neidhart, von Bauern umringt und bedroht«, die andern. Die kurzen Röcke die schrägen Binden um die Unterschenkel und die gröberen Gesichter lassen in der Tat keinen Zweifel daran, daß es Bauern sind, die auf die zentrale Figur des edler gezeichneten ritterbürtigen Dichters von rechts und links eindringen.
Die Szene ist auf grüner Wiese dargestellt, aber dies tuchnahe Gedränge erinnert doch mehr an das Gewimmel in den Tanzstuben der Winterlieder, und in der (vom Beschauer aus) rechten Gruppe glaubt man an den großen Schwertern der beiden, den hohen Stiefeln des einen und den geckenhaft roten Schuhen des anderen die beiden Kumpane Limizûn und Holerswam (aus dem Liede LNW 3o) zu erkennen, in Verbindung gebracht mit der im gleichen Gedicht (Str. 7) zitierten Bitte: »Guter Mann, singt etwas. Laßt uns mit Euch singen. Verhelft uns zu unserem Vergnügen«. Diese Bitte wird von den beiden mit freundlichem Grinsen vorgebracht und von dem Mann im gelben Rock mit einer Gebärde der Begeisterung noch unterstrichen. Der Sänger wehrt jedoch ab.
Anders die linke Gruppe: Hier denkt der Maler wohl eher an das Winterlied »Owê sumerzît, daz dir niemen hilfe gît!« (LNW 25), in dem Neidhart erzählt, wie ihm dreißig Jahre lang die Bauernlümmel immer in die Quere gekommen sind, ihn von den Mädchen weggeschubst und den Erfolg seines Werbens verhindert haben. Dazu paßt der drohend erhobene Finger der Figur ganz links und auch die Art, wie der Bursche im blauen Rock den Sänger anfaßt. Der aber hebt die Hand zum Schwur, denn: »daz doch nimmer wird verkorn, des ich tiuwer hân gesworn«, er werde diese schlechte Behandlung nie vergessen, das habe er hoch und teuer geschworen.

(Quelle: Minnesinger in Bildern der Manessischen Liederhandschrift, hrsg. von W. Koschorreck, Insel tb 88, Frankfurt a.M. 1974
Neuhochdeutsche Übertragung aus: Deutscher Minnesang, Nachdichtung von Kurt Erich Meurer, Reclam 7857 [2], Stuttgart 1978)